Auf den Bau der Chororgel im Jahr 2020 folgte 2022 die Hauptorgel und komplettierte damit die neue Orgelanlage der Dortmunder Reinoldikirche.
Nach intensiven Abwägungen wurde beschlossen, die Walcker-Orgel von 1958 aufzugeben und eine technische, musikalische und auch räumliche Neukonzeption anzustreben. Dazu fand 2014 ein Wettbewerb zwischen drei Orgelbauwerkstätten statt, die ihre Beiträge jeweils in Kooperation mit einem selbst zu bestimmenden Architekten einzureichen hatten. Auf diesem Weg begleitete uns einmal mehr Prof. Bernhard Hirche aus Hamburg mit seinen Vorschlägen zur architektonischen Neuordnung der Orgelsituation und seinen Entwürfen für beide Orgeln, die ihre architektonisch-skulpturalen Qualitäten und ihre Prospektgestaltung ihm zu verdanken haben. In der Orgelkommission wirkten Kantor Christian Drengk (ab 2018), sein Vorgänger an St. Reinoldi Klaus Eldert Müller (bis 2018), Kreiskantor Wolfgang Meier-Barth, OSV Hans-Christian Tacke und Ansgar Wallenhorst mit.
Die neue Hauptorgel verfügt über vier Manuale, von denen drei mechanische Trakturen aufweisen. Darüber hinaus gibt es in Schwellwerk, Solo und Pedal diverse mit Einzeltonventilen ausgestattete Reihen, was die Verwendungsmöglichkeiten dieser Register bemerkenswert erhöht.
Die Disposition entstand in Zusammenarbeit unserer Werkstätte mit der Orgelkommission von St. Reinoldi und zählt 54 Register; hinzu kommen 17 Extensionen und 5 Transmissionen. Gut 30 Register der Vorgängerorgel wurden, meist in der Mensur erweitert (d.h. gerückt), in den Klangbestand integriert und von Grund auf neu intoniert. Anregungen gab unter anderem auch die Disposition der legendären, 1944 vernichteten Walckerorgel von 1909 mit 107 Registern auf fünf Manualen.
Während der Intonationsarbeiten an der Hauptorgel erfuhren wir durch Zufall, dass die in St. Reinoldi vorhandene Truhenorgel (Organo di legno mit drei Registern von A. Schiegnitz) liebevoll „Trudi“ genannt wird. Das fanden unsere beiden Kollegen vor Ort so amüsant und nett, dass sie sich in intensiven, teils kontrovers geführten Diskussionen auf passende Namen für unsere beiden Orgeln einigten: so heißt die Chororgel nun „Claire“, während die Hauptorgel auf den Namen „Isolde“ hört. Claire und Isolde sind zwar als eigenständig benutzbare und in sich komplette Instrumente konzipiert, gehen aber bei geschicktem Einsatz bruchlos ineinander über, so dass sie sich – kontrastierend oder additiv – zu einem einzigen raumfüllenden Instrument vereinigen können. Dies ist umso erfreulicher, als sich die Raumakustik von St. Reinoldi als deutlich herausfordernder erwies als man das vom Augenschein her zunächst denken würde. Auffällig ist, dass Isoldes Brillanz mit steigender Entfernung deutlich abnimmt. Hier kann Claire die Aufgabe übernehmen, für zusätzliche Deutlichkeit im Vierungsbereich zu sorgen.
Bei den grundsätzlichen Überlegungen zur Intonation war es uns wichtig, zwar einen raumfüllenden und durchaus kräftigen Orgelklang zu erzielen, der aber stets schön bleibt und einen klaren klassischen Kern erkennen lässt. Isolde sollte in keinem Register forciert klingen oder nach angestrengter Kraft, sondern frei und klar in den Raum sprechen. Das war im Hinblick auf die offenporige Sandsteinoberfläche kein ganz einfaches Unterfangen. Unser Intonateur hat großen Wert auf die Entspanntheit des Klanges gelegt und den Pfeifen dabei ganz bewusst eine teils deutlich wahrnehmbare Ansprache belassen. Diese oft unerwünschte Ansprache wird meist abwertend als „Spucken“ bezeichnet, doch im rechten Maß erhöht sie die Durchhörbarkeit polyphoner Strukturen in schwieriger Akustik. Positiv konnotiert möchten wir daher lieber von „Küsschen“ sprechen. Der Principal 8‘ des Hauptwerks trägt so viel Lebendigkeit in sich, dass man sein „Knistern“ durch alle Grundstimmen charaktervoll prägend hindurch vernehmen kann, während der Principal 8´ des Positivs ruhiger und „älter“ wirkt.
Die Temperierung wurde ungleichstufig nach Janke gewählt. Nach den Erfahrungen mit Claire, die bauartbedingt über einen Magazinbalg verfügt und in bestimmten Registrierungen deutlich vernehmbar atmet, wünschten wir uns auch für Isolde einen musikalisch mitatmenden Wind. Obwohl Isoldes Windsystem mit regulierenden Windladenschwimmern angelegt ist, fand sich eine pfiffige Möglichkeit, ihren Wind beglückend lebendig wirken zu lassen. Dabei haben wir viel Aufmerksamkeit darauf verwandt, ein wohltuendes Maß des Atmens zu finden.
In bestimmter Weise registriert, kann Isolde beinahe wie eine alte Orgel klingen: das große, entspannte Hauptwerksplenum mit der Chamade als cantus firmus im Pedal erinnert uns an die Grandeur alter französischer Instrumente, und das durch die Sesquialtera deutlich terzhaltig gefärbte Plenum des Positivs haben wir uns während der Intonation mehrmals täglich anhören müssen und augenzwinkernd unser „Maihingen-Plenum“ genannt.
Trotz dieser historisch orientierten Assoziationen sind Claire und Isolde eindeutig moderne Orgeln mit großer Palette an dynamisch und klangfarblich differenzierten Stimmen, auf die über die heute moderne Elektronik in mannigfaltiger Weise zugegriffen werden kann. Claire und Isolde sind ein Beitrag der Werkstätte Mühleisen zur immerwährenden Diskussion darüber, wie eine moderne, universal einsetzbare Orgel ästhetisch und charakterlich ausgeprägt sein kann.


I Hauptwerk C-c''''
Principal   16'
Principal   8'
Flûte harmonique   8'
Rohrflöte   8'
Gamba   8'
Octave   4'
Waldflöte   4'
Quinte   2 2/3'
Superoctave   2'
Mixtur major 4-f.   2'
Mixtur minor 3-f.   1'
Cornett 5-f. (g°)   8'
Trompete   16'
Trompete   8'
II Positiv (schwellbar) C-c''''
Quintathön   16'
Principal   8'
Portunalflöte   8'
Bourdon   8'
Spitzgamba   8'
Quintade   8'
Octave   4'
Flöte   4'
Blockflöte   2'
Sesquialter II   2 2/3'
Larigot 3 1 1/3'
Mixtur 4-f.   1 1/3'
Trompete   8'
Vox humana   8'
Tremulant  
III Schwellwerk C-c''''
Bourdon   16'
Contraviola   16'
Geigenprincipal   8'
Liebl. Gedeckt 1 8'
Viola 1 8'
Aeoline   8'
Voix céleste   8'
Geigenpraestant   4'
Flûte octaviante   4'
Violine 1 4'
Octavin   2'
Oktävlein   1'
Progressio 4-f.   2 2/3'
Basson   16'
Trompette harmonique   8'
Hautbois   8'
Tremulant  
IV Solo C-c''''
Konzertflöte   8'
Klarinette 4 8'
Chamade   16'
Chamade 1 8'
Chamade 1 4'
Großquinte   5 1/3'
Quinte 1 2 2/3'
Quinte 1 1 1/3'
Großterz   6 2/5'
Terz 1 3 1/5'
Terz 1 1 3/5'
Großseptime   4 4/7'
Septime 1 2 2/7'
Septime 1 1 1/7'
Carillon  
Pedal C-g'
Untersatz   32'
Principalbass   16'
Subbass 1 16'
Stillgedeckt 2 16'
Salicetbass 2 16'
Quintbass   10 2/3'
Octavbass 1 8'
Bassflöte 1 8'
Stillgedeckt 2 8'
Violbass 2 8'
Octave 1 4'
Nachthorn   2'
Mixtur 4-fach   2 2/3'
Kontrabombarde   32'
Posaune 1 16'
Fagott 2 16'
Trompete   8'
Clairon 1 4'

1 (Deutsch) Extension

2 (Deutsch) Transmission

3 (Deutsch) Vorabzug

4 Vorabzug

mechanische Spieltrakturen, elektrische Registratur,
Zweitspieltisch fahrbar mit SPS-Anlage der Fa. Sinua

Koppel Pos/HW umschaltbar mechanisch oder elektrisch, alle anderen Koppeln elektrisch:
Pos/P, HW/P, SW/P, SO/P,   SW/HW, SW/Pos, SO/HW, SO/Pos, SO/SW, Pos16', Pos4', SW16', SW 4', Pos/HW16', SW/HW16', SW/Pos16', Pos/HW 4’, SW/HW 4’

Einige Reihen stehen auf Einzeltonladen und sind daher frei zuordbar: z.B. Bourdon- und  Violareihe im SW, alle Solo-Register.

Die drei Aliquotreihen des Solo sind im Schwellwerk untergebracht.